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Weevil
News |
No. 30 |
4 pp. |
25. September 2005 |
ISSN 1615-3472
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Stüben P.E.
& F. Bahr (2005):
Illustrated Key of the Cryptorhynchinae of
Middle-Europe. (Coleoptera: Curculionidae: Cryptorhynchinae) - Weevil News: http://www.curci.de/Inhalt.html,
No. 30: 4 pp., CURCULIO-Institute: Mönchengladbach. (ISSN 1615-3472). |
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Bilderschlüssel zu den Cryptorhynchinae Mitteleuropas
(Coleoptera: Curculionidae: Cryptorhynchinae)
von
Peter E. Stüben, Mönchengladbach, & Friedhelm Bahr, Viersen
Abstract
For the first time a subfamily
of Curculionidae, the Central European species of Cryptorhynchinae, are
accounted in a pictorial key. In the introduction the advantage of such a
pictorial key is presented and discussed under the “primacy of scientific
illustrations in identification works”.
Key words
Curculionidae, Cryptorhynchinae, Acalles,
Kyklioacalles, Onyxacalles, Echinodera, Ruteria, Gasterocercus, Camptorhinus,
Cryptorhynchus, Acallocrates, pictorial key, Middle-Europe
Zusammenfassung
Erstmalig wird eine Unterfamilie
der Curculionidae, die Arten der Cryptorhynchinae, für Mitteleuropa in einem
Bilderschlüssel dargestellt. In einer Einleitung werden die Vorteile eines
solchen Bilderschlüssels unter dem „Primat der wissenschaftlichen Illustration
in Bestimmungswerken“ vorgestellt und diskutiert.
Das Primat der wissenschaftlichen Illustration in
Bestimmungswerken
von
Peter E. Stüben
Die wissenschaftliche Illustration ist im Zeitalter der digitalen Revolution auch in der Entomologie nicht mehr aufzuhalten. Als 1981/83 die Rüsselkäfer-Bände der „Käfer Mitteleuropas“ (FHL) erschienen, standen die oft sehr vagen und „±“ unspezifischen Beschreibungen in den Diagnosen noch im Vordergrund. [Freude / Harde / Lohse 1981,1983] Dabei schenkte man den wenigen Umrisszeichnungen, was Genauigkeit und Wiedererkennbarkeit betraf, nur wenig Aufmerksamkeit - sah in ihnen allzu oft nur lästige Accessoires.
So war eine sichere und zuverlässige Bestimmung der mitteleuropäischen Cryptorhynchinae ohne die begleitenden Arbeiten von A. & F. Solari [Solari A. & F. 1907], A. Hoffmann [Hoffmann 1958], G. Tempère & J. Péricart [Tempère G & J. Péricart (1989] und L. Dieckmann [Dieckmann 1982] praktisch unmöglich. Was im Wesentlichen auf zwei Umstände zurückzuführen ist, die es heute bei der Aufstellung von Bestimmungsschlüsseln ratsam erscheinen lassen, in den klassischen Printmedien nicht mehr das Mittel der ersten Wahl zu sehen.
1. Wo herkömmliche Schlüssel nicht eine rasche und gezielte Determination ermöglichen, sondern vom Benutzer eine "Kunst der richtigen Interpretation" verlangen, haben Wissenschaftler längst das wichtigste Ziel aus den Augen verloren: Die wissenschaftsdidaktische Reduktion auf das Wesentliche. Denn wer von uns studiert schon aufmerksam die Erstbeschreibungen und Differentialdiagnosen in den Separata, die ihm freundlicherweise der Kollege zugeschickt hat? Wer hat sich nicht schon in der Vergangenheit an den viel aussagekräftigeren Tuschezeichnungen erfreut, die ihm ein sicheres Bestimmen der eigenen Tiere zweifelsfrei ermöglichten? Und wer hat sich nicht schon zu der überzogenen Feststellung hinreißen lassen, dass eine gut gemachte Vergleichstafel mehr wert ist als alle Beschreibungen der Welt zusammen?
So zeichnet sich im digitalen Zeitalter auch hier eine kleine Kopernikanische Wende ab: Nahm man bisher an, dass die zuverlässige Bestimmung der eigenen Tiere sich nach unseren Texten richten müsse, so versuche man es doch einmal damit, ob nicht die wissenschaftliche Illustration, Detail- und Habitusabbildungen, uns ein Wiedererkennen der eigenen Tiere weitaus besser ermöglicht. Wo aber die digitale Fotographie das Mittel der ersten Wahl ist, sind den klassischen Printmedien sehr enge „physische“ Grenzen gesetzt. Während hier oft nur 1-2 Abbildungen den vermeintlich exakten „wissenschaftlichen Text“ begleiten (sollen und können), sind es dort oft Dutzende von Abbildungen, die ein schnelles visuelles Erfassen - ohne viele Worte - ermöglichen. Interaktiv auf einem Datenträger oder im Internet geschaltet, sollten solche Bilderschlüssel vor allem visuell die rasche und sichere Determination ermöglichen: Vom Gesamteindruck eines Insekts über dessen Details bis zum differentialdiagnostischen Merkmalsvergleich. (Dabei wird davon ausgegangen, dass der „dichotomische Schlüssel“ konzeptionell und methodisch allen anderen alternativen Bestimmungsschlüsseln überlegen ist.)
Eine erste Anregung, unter dem Primat der digitalen wissenschaftlichen Illustration weiter zu experimentieren, möchte der vorliegende „Illustrated Key of the Cryptorhynchinae of Middle-Europe“ geben. Dabei sind das Layout und die Zusammenstellung der Bilder in Tafeln für die rasche Determination ebenso wichtig wie das Habitus- oder Detailphoto selbst. Aber nicht alles ist non-verbal möglich, wie die teils erklärenden, teils fokussierenden Anmerkungen in den Bildern belegen - noch nicht! Denn unter der Maxime, dass der beste (und nicht etwa der phylogenetisch-systematisch richtige) Bestimmungsschlüssel die schnellste und sicherste Determination ermöglicht, bleibt natürlich der direkte Bildvergleich das Ziel: Im Mikroskop das sehen, was die digitale Abbildung auf dem Monitor bereithält, ist ohne Überblend-Projektionen und entsprechende Programme, ohne Computer-Tomographien und ohne biometrische Daten zur automatischen Art-Erkennung zur Zeit noch nicht möglich.
2. Wir befinden uns eben mitten in einem Paradigmenwechsel. Der aber ist grundlegend - nicht nur was das Primat der wissenschaftlichen Illustration in Erstbeschreibungen und Differentialdiagnosen (Schlüssel) betrifft. Denn digitale Publikationen zeichnen sich durch eine Eigenschaft aus, die in ihrer Bedeutung und Tragweite für den wissenschaftlichen Prozess selbst weit über die Möglichkeiten der Print-Medien hinausgehen: Durch einen beschleunigten wissenschaftlichen Lern- und Diskussionsprozess ("trial and error"), in dem falsifizierende Fakten und Erkenntnisse unmittelbar in den Hypothesen - und Theorienprogress eingreifen und gleich wieder - ad infinitum - in "Bild und Wort" zur Diskussion gestellt werden.
Wer hat sich nicht schon über die FHL-Bände und ihre zahlreichen Nachträge auf dem Schreibtisch geärgert? Und wer hat nicht gelegentlich dem „neolithischen“ Ansinnen der Herausgeber und Verlage ausnahmslos ökonomische Interessen unterstellt, wenn wiederholt davon die Rede war, dem nächsten Nachtragsband ganz sicher einen weiteren folgen zu lassen. Dem digitalen Medium hingegen sind solche anachronistischen Spielereien, die den Lernprozess - aus welchen Gründen auch immer - aufhalten, fremd. Taxonomisch-systematische Kataloge, faunistische Erhebungen und natürlich Bestimmungsschlüssel gehören ins Internet oder auf leicht und problemlos zu reproduzierende Medien - und nicht eingemeißelt auf neolithische Stelen oder (profitmaximierend) zwischen Buchdeckel auf Papier - als seien sie für die Ewigkeit gemacht.
So ist der folgende Bestimmungsschlüssel zu den bisher schwer zu bestimmenden mitteleuropäischen Cryptorhynchinae eher gedacht als Aufforderung zur Mitarbeit. Denn mancher wird sich daran stören, dass wir der willkürlichen geo-entomologischen Festlegung des FHL gefolgt sind - als wüssten wir (und unsere Acalles-Arten), wo denn genau dieses „Mitteleuropa“ liegt (deshalb haben wir auch einige „Grenzgänger“ mehr berücksichtigt). Andere wiederum werden unseren Detailabbildungen angesichts ihrer völlig entschuppten Acalles-Arten nicht Glauben schenken und um besseres Bildmaterial nachsuchen. Wieder andere werden unsere schon sehr großzügig schraffierten Verbreitungskarten (Punktkarten in Bestimmungswerken sind hingegen didaktischer Blödsinn!) heftig kritisieren, schließlich hätten sie die Art doch schon in den 90er Jahren 100 km weiter aus der Laubstreu gesiebt (aber seien bisher nicht dazu gekommen, die Daten an uns weiterzugeben). Zuletzt werden wir es sein, die die hier erstmalig präsentierten 25 Arten aus 9 Gattungen (der FHL „kennt“ bis heute nur 5) in den nächsten Monaten vielleicht schon um weitere bereichern werden. (Es kann aber auch anders kommen: Denn wer weiß schon, was morgen zwischen „Klimaänderung“ (die meisten Cryptorhynchinae sind flugunfähig) und den um Synonymisierungen sich bemühenden Kollegen die Artenzahlen weiter abnehmen lässt.)
In der entomologischen Forschung gibt es keinen Stillstand, und selbst die oft in kataleptischer Regungslosigkeit verharrenden Cryptorhynchinae bewegen sich gelegentlich. So ist eben alles im Fluss: Das forschende Subjekt und das erforschte Objekt. Selbst der Sammler ist heute schlecht beraten, seine Sammlungskästen statt mit Units (Arten-Systemschachteln) mit unverrückbaren Steckplätzen und Etiketten zu versehen.
Dieser Wandel von der früher oft einmaligen, nicht selten ganze Generationen von Entomologen überspringenden "historischen Publikation" (1907 erschien z.B. die letzte große Revision der Acalles-Arten der Westpaläarktis durch A. & F. Solari) zu einer höchst dynamischen modernen "wissenschaftlichen Kommunikationslandschaft" verlangt gleichzeitig auch eine deutliche Verkürzung der Zugriffszeiten. Digitale Kataloge, Indizes und Bestimmungsschlüssel werden zu einem unverzichtbaren Instrumentarium, mit dem zu jeder Zeit heute der rasante Erkenntnisfortschritt dokumentiert werden muss. Und der Vorteil liegt für die Autoren und den Leser, Wissenschaftler und Sammler auf der Hand: Nur was ich bestimmen kann, was ich kenne, kann ich lieben und schützen!
Warum nicht Cryptorhynchinen?*
Viel Zustimmung und Kritik richten sie bitte an die Autoren:
Dr. Peter E. Stüben
CURCULIO-Institute
Hauweg 62, D- 41066 Mönchengladbach, Germany
E-Mail: P.Stueben@t-online.de
Friedhelm Bahr
Heinz-Luhnen-Straße 20
D- 41751 Viersen
E-Mail: Fried.Bahr@t-online.de
Literatur
Dieckmann L. (1982): Acalles-Studien (Col., Curculionidae). - Entomologische Nachrichten und Berichte, 26 (5): 195-209.
Freude, H. ; Harde, K. & Lohse, G.H. (1981 / 1983): Die Käfer Mitteleuropas, Bd. 10 + 11:, Krefeld.
Hoffmann A. (1958): Coléoptères Curculionides (Troisième Partie). - Faune de France 62: 1210-1839; Paris.
Solari A. & F. (1907): Studii sugli Acalles. - Annali Mus. civ. Stor. nat. Giacomo Doria, 3 (Ser. 3): 479-551; Genova.
Tempère G & J. Péricart (1989): Coléoptères Curculionidae, 4. Partie. - Faune de
France 74: 536p., Paris.
Dieser Beitrag erschien zuerst in "COLEO - Arbeiten und Berichte aus der Coleopterologie", Band 6 (2005) 16-25 (http://www.coleo.de/arbeiten.html). Die WEEVIL NEWS – Redaktion im CURCULIO-Institut bedankt sich bei COLEO e.V. für die Überlassung der Rechte an diesem Artikel und den wissenschaflichen Abbildungen!