Weevil News

http://www.curci.de/Inhalt.html

No. 8

 9 pp.

6th May 2002

ISSN 1615-3472

Sprick, P., H. Winkelmann & L. Behne (2002): Rhopalapion longirostre - Anmerkungen zur Biologie und aktuellen Ausbreitung in Deutschland. - Weevil News: http://www.curci.de/Inhalt.html, No. 8: 9 pp., CURCULIO-Institut: Mönchengladbach. (ISSN 1615-3472).



Rhopalapion longirostre (Olivier, 1807) (Coleoptera, Apionidae):

Anmerkungen zur Biologie und zur aktuellen Ausbreitung in Deutschland

- ein Aufruf zur Mitarbeit

von

Peter Sprick, Herbert Winkelmann und Lutz Behne

Mit  15 Abbildungen und  1 Verbreitungskarte

Abstract

Rhopalapion longirostre is a well characterized Apionid weevil, developing on hollyhock (Alcea rosea L.). 20 years ago, the species was not indigenous and occurred only for short periods in South Germany. In recent years there are also records from North and East Germany (Hamburg, Bremen, Berlin: new record in 2001). The species appears mainly in urban gardens on hollyhock and can be well detected. For that reason and because of the distinct habitus - the females have the longest rostrum of all Middle-European Apionidae - the recent spreading of Rhopalapion longirostre in Germany can be documented easily. The significance of species-rich gardens with a heterogeneous vegetation structure as a biotope for insects is also emphasized by the dispersal of Rhopalapion longirostre.

Key words

Coleoptera, Apionidae, Rhopalapion longirostre, Malvaceae, Alcea rosea, new records, Germany, distribution, spreading.

Zusammenfassung

Rhopalapion longirostre ist eine leicht kenntliche Apionide, die an Stockrosen (Alcea rosea) lebt. Galt die Art noch vor rund 20 Jahren als nicht heimisch und tauchte nur kurzfristig in Süddeutschland auf, so gibt es in den letzten Jahren auch Nachweise in Nord- und Ostdeutschland (Hamburg, Bremen, Berlin: Neunachweis 2001). Die Art tritt vor allem in Stadtgärten an Stockrosen auf. Wegen der guten Nachweisbarkeit und der Unverwechselbarkeit (von allen mitteleuropäischen Arten haben die Weibchen den längsten Rüssel) kann die aktuelle Verbreitung von Rhopalapion longirostre in Deutschland auf einfache Weise erfasst werden. Die Bedeutung struktur- und artenreicher Kleingärten als Lebensraum für Insekten wird auch durch die Ausbreitung von Rhopalapion longirostre verdeutlicht.

Einleitung

Die Idee zu diesem Beitrag kam förmlich angeflogen: Vier kleine Rüsselkäfer auf dem Blatt eines Malvengewächses in einem Garten in Berlin-Tegel. Die hier behandelte Art, Rhopalapion longirostre, ist praktisch nicht zu verwechseln. Die dunkel gefärbten, durch dichte, weiße Behaarung grau erscheinenden Käfer haben einen langen, geraden Rüssel, der insbesondere bei den Weibchen fast Körperlänge erreicht, und die Beine sind abstechend gelb gefärbt [Fig. 1] [Fig, 2] [Fig 3]. Auch die Entwicklungspflanze, die Stockrose (Alcea rosea L., syn. Althaea rosea (L.) Cav.), dürfte jedem Gartenliebhaber bekannt [Fig. 4] und auch schon im nichtblühenden Zustand gut erkennbar sein [Fig. 5]. In den letzten Jahren häufen sich die Neumeldungen über diese Art in vielen Teilen Mitteleuropas (Behne 1998). Mit den folgenden Ausführungen wird versucht, einen Überblick über die derzeitige Verbreitung in Deutschland zu geben.

Verbreitung [Fig. 6 ]

Rhopalapion longirostre ist nach Dieckmann (1977), Lohse (1981), Perrin (1984), Abbazzi & Osella (1992) sowie Knutelski & Petryszak (1997) vom südlichen Mittel- und zentralen Südeuropa (Schweiz: Tessin, Wallis, italienische Halbinsel) über die Slowakei, Österreich (Niederösterreich, Burgenland) und den Balkan ins südliche Osteuropa sowie nach Vorder- und Mittelasien verbreitet. Eine Übersichtskarte mit der bis 1984 bekannten Verbreitung enthält die Arbeit von Perrin (1984).

Nach Österreich soll die Art laut Wagner (in Dieckmann 1977) immer wieder eingeschleppt worden sein, während Dieckmann für die Slowakei von einer Einbürgerung ausgeht. In Nordafrika ist Rh. longirostre offenbar sehr selten: Es ist nur 1 Ex. aus Algerien bekannt.

Ehret (1983) meldet die Art als Neufund für Frankreich. Teunissen (schriftl. Mitteilung) verdanken wir den Hinweis auf den Erstfund für die Niederlande (1993) (Kuijper-Nannenga 1995). Von der iberischen Halbinsel sind uns keine Nachweise bekannt. Die derzeit bekannte Verbreitung in Zentraleuropa zeigt Karte 1 [Fig. 6]. Nach Kanada und den USA wurde die Art bereits am Anfang des letzten Jahrhunderts verschleppt, seitdem hat sie sich dort ausgebreitet und ist fest etabliert.

Biologie

Detaillierte Angaben zur Biologie dieser Art finden sich bei Dieckmann (1977) und Pupier (1997). In Mitteleuropa bzw. weiten Teilen des paläarktischen Verbreitungsgebietes entwickeln sich die Tiere monophag an Alcea rosea, der Stockrose [Fig. 4]. Im Juni und Juli erfolgt die Eiablage in die Blütenknospen [Fig. 7]. Dazu stechen die Weibchen mit ihrem langen Rüssel einen „Eikanal“ in die großen Knospen. Die Larven schlüpfen nach ca. 3 Tagen und kriechen zwischen den Staubfäden zum ringförmigen Fruchtknoten, wo sie sich in die jungen Früchte einbohren. Die Larve benötigt für ihre Entwicklung den Inhalt eines Samens. Vor der Verpuppung frisst sie ein Loch in die Samenwand und verschließt dieses mit einem weißen Sekret. Die Imago verlässt den Samen durch dieses Loch [Fig. 8], [Fig. 9]. Die Larvenentwicklung dauert vier bis sechs Wochen. Der Schlupf zieht sich nach Literaturangaben bis in den September hinein, bei Samenkapseln aus Berlin schlüpften bei niedrigen Zimmertemperaturen noch im Dezember einzelne Käfer [Fig. 10].

In Arkansas (USA) und in der Türkei ist die Art auch an Baumwolle (Gossypium) aufgetreten, und in Syrien wurde sie an einer unbestimmten Alcea-Art beobachtet (P. Sprick). Über eine Entwicklung an hochwüchsigen Malva spp., z.B. Malva sylvestris L. (Wilde Malve) [Fig. 11], Althaea officinalis L. (Eibisch) [Fig. 12] oder Lavatera thuringiaca L. (Thüringer Strauchpappel) [Fig. 13], weiteren mitteleuropäischen Malvengewächsen, ist bisher nichts bekannt geworden. Die beiden letztgenannten Arten sind jedoch selten bis sehr selten und können schon aus diesem Grund für das aktuelle Ausbreitungsgeschehen in Mitteleuropa keine Rolle spielen (zu Malva siehe auch nächstes Kapitel).

Die Stockrose stammt aus Kleinasien. Ihre über 2 m hohen Blütenstände gehören seit dem Mittelalter zum Pflanzenbestand der Bauerngärten [Fig. 14]. In früheren Zeiten wurde die Pflanze feldmäßig angebaut, und man gewann man aus den Blüten einen roten Farbstoff, der zum Färben des Weines diente (Hammer 1994). Sie ist heute in Mitteleuropa weit verbreitet und verwildert oft in Städten und Siedlungen.

Weitere Angaben zu potenziellen Wirtspflanzen der Familie Malvaceae

Die Malvengewächse zeichnen sich durch 5 Fruchtblätter (oder einem Mehrfachen dieser Zahl) aus. Der Fruchtknoten reift zu einer Kapsel heran oder spaltet in der Regel in einsamige Teilfrüchte auf (Hammer 1994). Bei dem Tribus Malveae ist der Fruchtknoten eine Scheibe, in der die einzelnen Karpelle wie in einer aufgeschnittenen Torte angeordnet sind [Fig. 9]. Zur Reifezeit zerfällt die Frucht dann in einzelne Teilfrüchtchen, die so genannten Meso- oder Schizokarpien (Spaltfrucht). Nur eine Samenanlage je Teilfrucht zeichnet die Gattungen Alcea, Althaea, Lavatera und Malva aus.

Die ovalen bis fast kreisrunden Samen(scheiben) haben bei der Stockrose einen Durchmesser von 5-7 x 0,8-0,9 mm. Die runden Ausschlupflöcher liegen auf der breiten Außenseite der Stockrosensamen [Fig. 8]. Die Früchte von Alcea rosea zerfallen schließlich zwar auch in Teilfrüchte [Fig. 15], [Fig. 16]. Wie unsere Beobachtungen zeigten, bleiben sie zunächst jedoch relativ lange in der trockenen Blütenhülle zusammen [Fig. 9].

Die Samen der kultivierten Gossypium-Arten (Baumwolle; Tribus Hibisceae), die in fachspaltigen Kapseln liegen, sind nach Hammer (1994) etwa erbsengroß. Dagegen sind die einsamigen Spaltfrüchte von Malva sylvestris relativ klein und sehr flach, so dass sie keinen Raum für die Entwicklung des zu großen Rhopalapion longirostre bieten.

Rhopalapion longirostre lebt somit an großfrüchtigen bzw. großsamigen Malvaceen verschiedener Malvaceen-Triben, die in Mitteleuropa im Wesentlichen oder ausschließlich durch die Stockrose vertreten sind (regionale Monophagie). Diese Pflanze wird vielfach in Gärten, seltener auch in Parks angepflanzt. Arten mit zu kleinen Früchten können nicht für eine Reproduktion genutzt werden, da sich die Larven in den Samen entwickeln, die bei den meisten Malvaceen zu klein sind.

Da Rhopalapion longirostre eine südlich verbreitete, wärmeliebende Art ist, erfolgt die Ausbreitung nach Norden nur in niederen Lagen, wo auch die Wirtspflanze günstige Bedingungen vorfindet. Stockrosen werden häufig südseitig vor Mauern und Hauswänden gepflanzt und vermehren sich auch gern in gartennahen Pflasterritzen, wo sie die günstige Wärmesituation nutzen [Fig. 14]. Darüber hinaus dürften ausgeprägte Wärmeperioden Ausbreitung und Ansiedlung begünstigen.

Der Malven-Phytophagenkomplex

Zum besseren Verständniss sei auf die Vielfältigkeit der Malvengewächse und ihrer Besiedler aus der Gruppe der spezialisierten phytophagen Käfer (Coleoptera) hingewiesen. Neben weiteren Apioniden wie Alocentron curvirostre (Gyll.), Aspidapion aeneum (F.), A. radiolus (Marsh.), A. soror (Rey) und A. validum (Germ.), Malvapion malvae (F.), Pseudapion fulvirostre (Gyll.), moschatae (Hoffm.) und Ps. rufirostre (F.) leben auch die Curculioniden Baris timida (Rossi) und Lixus angustatus (F.) sowie Blattkäfer der Gattung Podagrica (z.B. P. fuscicornis (L.), P. malvae (Ill.), P. menetriesi (Fald.), P. fuscipes (F.)) an den Arten dieser Pflanzenfamilie. Eine nähere Analyse der Wirtspflanzenbesiedlung steht noch aus.

Verbreitung in Deutschland  [Fig. 6]

Funde aus Südwestdeutschland, dem Rhein- und dem Maintal

Maintal / Hessen:

Den ersten jüngeren datierten deutschen Fund findet man bei Liebegott (1989) für Hessen. Er meldete ein Exemplar für Frankfurt/Main: „In einer Wohnung am Fenster, VIII.1974 (Liebegott).“ Neuere Funde nach G. Hofmann (schriftl. Mitteilung) auch aus der Umgebung von Frankfurt (leg. G. Flechtner) und Hanau (leg. W. Höhner).

Maintal / Bayern:

6 MM und 5 WW fand G. Hofmann in einem Garten in Stockstadt am Main an Alcea am 19.6.1999 (Gerstmeier 2000); seither tritt die Art dort regelmäßig auf.

Rheinland:

Von Schmitz & Maczey (1993) wird die Art als neu für die Rheinprovinz gemeldet, wo sie in einem Bauerngarten in Bonn-Beuel in einigen Exemplaren festgestellt wurde.

Nach Köhler (1995) und Stüben (mündl. Mitteilung 2002) hielten sich aus Südfrankreich mitgebrachte Tiere über drei Jahre hinweg in einem Garten in Mönchengladbach. Das Vorkommen wurde danach erst durch Baumaßnahmen beseitigt.

Südwestdeutschland / Nordwest-Schweiz / Rheintal:

Erste Funde aus Süddeutschland wurden durch den Apionspezialisten Ch. Maus („Südbaden ab 1993“) bekannt (schriftl. Mitteilung). Kleß (1995) meldet die Art nach zwei Funden im Breisgau im Sommer 1994 (Freiburg-Wiehre und im Westen Freiburgs) als neu für Südwestdeutschland.

Hinzu kommen Funde von Ch. Neumann (schriftl. Mitteilung) in der Freiburger Innenstadt (seit 1997), Staufen bei Freiburg (ab 1998) und Weil am Rhein (Juli 2000). Ihm gelangen auch Nachweise aus der angrenzenden Schweiz: Basel (Kleinbasel 1999).

Rheinland-Pfalz:

Weiter nördlich am Rhein sammelte F. Köhler (schriftl. Mitteilung) bei Wachenheim bei Ludwigshafen am Kemmertsberg am 29.6.1996 17 Ex. auf Alcea an einer Weinbergsböschung.

Funde aus dem Saarland

Eisinger (schriftl. Mitt.) fand in Saarbrücken anfangs nur Einzelexemplare (28.6.1996, 15.7.1998: Garten Saarbrücken-Malstatt), seitdem hat die Art aber zugenommen und wurde auch an anderen Stellen gefunden (Saarbrücken-St. Johann, 1.7.1999, über 20 Ex.).

Funde aus Norddeutschland

Andreas Herrmann (schriftl. Mitteilung) kennt für den Hamburger Raum bereits Funde aus den Jahren 1990 / 1991 (Hamburg-Neugraben, Garten von M. Zeising) und „Harburger Berge“ (von K. Hengmith). Ein weiterer aktueller Fund stammt von Axel Bellmann (schriftl. Mitteilung): Bremen-Oberneuland, 26.6.2000, 4 Ex. an Alcea im Garten.

Funde in Berlin

Die Rüsselkäferfauna von Berlin ist seit 1981 intensiv bearbeitet und mit einer Gesamtartenliste dokumentiert worden (Winkelmann 1991). Seit der Wiedervereinigung wurde auch die Rüsselkäferfauna der östlichen Stadtteile untersucht. Ein Nachweis von Rhopalapion longirostre wäre sicher sofort bekannt geworden, erfolgte bis 2001 aber nicht. Erst am 28.6.2001 wurden 4 Exemplare (2 MM, 2 WW) von Rhopalapion longirostre im Garten von H. Winkelmann auf einer Stockrose entdeckt. Die Tiere kopulierten auf den oberen Blättern [Fig. 3], der Blütenstand war noch nicht voll entwickelt und die Blütenknospen noch klein und geschlossen. Gefressen wurde an der Unterseite der Blätter, so dass ein feines Lochmuster entstand. In den nächsten Tagen kopulierten die Tiere auch auf den großen, noch geschlossenen Blütenknospen [Fig. 7], in die die Weibchen ihre langen Rüssel einbohrten.

Mit Beginn der Blütezeit waren keine Käfer mehr zu beobachten. Da die reifenden Fruchtstände einzelne Einstichlöcher aufwiesen, wurden mehrere nach dem Abtrocknen in eine Dose überführt und kühl gestellt (ungeheizter Raum). Erst bei einer Kontrolle am 10.12.2001 konnten zwischen den trockenen Samen insgesamt 16 Exemplare von Rhopalapion longirostre festgestellt werden; einige waren gerade dabei, sich aus den Samen herauszuarbeiten [Fig. 8]. Die Tiere wurden kühl aber frostrei gehalten und hatten lediglich die trockenen Fruchtstände zur Verfügung. Anfang Februar 2002 starben einige Exemplare, die verbliebenen Tiere erhielten kleine Stockrosenblätter, die jedoch nicht gleich angerüsselt (= mit einem Lochmuster versehen) wurden.

Negativmeldungen

Ein Absuchen zahlreicher Stockrosen-Bestände nach Rhopalapion longirostre im Jahre 2001 in Hildesheim, Groß Giesen (bei Hildesheim; Niedersachsen) und in Frille-Petershagen bei Minden/Wesertal (Westfalen) verlief negativ, ebenso eine Suche im Jahre 1999 in Hannover-Linden. Auch Ludger Schmidt konnte die Art bisher in Hannover nicht nachweisen, und Jörn Lehmhus hat ohne Erfolg zwischen 1997 und 2000 mehrfach Stockrosen-Bestände im Berggarten und auf dem Gelände der Universität Hannover in Hannover-Herrenhausen kontrolliert. Dr. Arved Lompe (schriftl. Mitteilung) aus Nienburg / Weser kennt die Art bisher nicht aus Nienburg bzw. dem übrigen Niedersachsen; er teilt aber einen Fund aus Österreich vom Neusiedler See (Burgenland) aus dem Jahre 1978 mit. Auch aus den östlichen Bundesländern Deutschlands gibt es bis Ende 2001 mit Ausnahme Berlins keine Nachweise. Nach Palm (schriftl. Mitteilung) sind aus Dänemark und dem übrigen Nordeuropa noch keine Funde gemeldet worden, und auch aus Luxemburg (BRAUNERT, schriftl. Mitteilung) und Polen (Knutelski & Petryszak 1997) liegen noch keine Funde vor.

 

Diskussion

Ohne Zweifel ist die Anzahl der Funde von Rhopalapion longirostre in Deutschland in den letzten 20 Jahren auffällig angestiegen. Gab es ursprünglich nur einzelne Nachweise aus Süddeutschland, sind nun auch Funde aus Nord- und Ostdeutschland gemeldet worden. Wo ursprünglich nur Einzelexemplare auftauchten, ließen sich inzwischen kleinere Populationen mit über 10 Exemplaren nachweisen, womit eine erfolgreiche Reproduktion und Überwinterung angenommen werden kann.

Rhopalapion longirostre wurde in den letzten 2 Jahrzehnten an mehreren Stellen in Deutschland angetroffen und hat sich vielfach etabliert. Es fällt auf, dass es keine älteren Funde gibt, und dass den Nachweisen aus diversen Regionen wahrscheinlich Einschleppungen (mit Samen, im Reisegepäck o.ä.) über größere Entfernungen vorausgehen. Jedenfalls gibt es zumindest in den nördlichen Regionen keine Nachweise (Schleswig-Holstein, Dänemark) bzw. keine Nachweise aus den zwischen den Großstädten (Bremen, Hamburg, Berlin) liegenden Gebieten. Auch eine gezielte Suche entlang potentieller Ausbreitungswege (z.B. im Wesertal) erbrachte keinen Hinweis auf Eigenausbreitung über größere Distanzen in Norddeutschland; siehe auch [Nota 1].

Dagegen stellt sich die Situation im südlichen Deutschland, insbesondere entlang von Rhein und Main, etwas anders dar: Vielfach wurden hier anfangs nur kleine Populationen beobachtet, die in den Folgejahren deutlich größer wurden (z.B. Bonn-Beuel, Saarbrücken). Entlang des Rheins sind die Funde inzwischen so zahlreich, dass hier auch Eigenausbreitungen erfolgt sein dürften. Dafür spricht auch der Fund am Kemmertsberg 1996 außerhalb einer größeren Stadt.

Bemerkenswert ist, dass Wagner noch um 1940 (in Dieckmann 1977) selbst für Österreich nur von Einschleppungen ausging. Heute hat sich diese Zone mit fest eingebürgerten Vorkommen auffällig weiter nach Norden bzw. Nordwesten verlagert. Wahrscheinlich wurde die Art auch früher schon des öfteren nach Deutschland bzw. ins zentrale und nördliche Mitteleuropa eingeschleppt; aber erst die Erwärmung des Klimas hat dann eine erfolgreiche Etablierung in vielen dieser Gebiete ermöglicht. Die Ausbreitung nach Mitteleuropa ist im Gegensatz zu vielen anderen gut dokumentierten Fällen entweder nicht beachtet und belegt worden oder vor allem durch Ein- oder Verschleppungen gekennzeichnet (mit nachfolgender innerstädtischer Eigenausbreitung im Norden und wahrscheinlich etwas größerer Eigenausbreitung im Süden). Sie ist zumindest im Norden mit der der flugunfähigen Otiorhynchus-Arten vergleichbar, bei denen eine innerstädtische Eigenausbreitung im Gegensatz zu der flugfähiger Arten allerdings nur über den Boden erfolgen kann.

Einige weitere Beispiele von wärmeliebenden Arten, die sich in letzter Zeit neue Gebiete über größere Distanzen wohl ausschließlich durch Eigenausbreitung erschlossen haben, sind z.B. Ceutorhynchus canaliculatus, Ceutorhynchus niyazii, Lixus rubicundus und Sirocalodes mixtus (BAYER 2001, MEYBOHM 1999, WINKELMANN 1992, SCHMIDT et al. 2000, ZIEGLER 1999).

Auch im Falle von Aspidapion validum wird bei dem Vorkommen nördlich der Alpen in erster Linie von kurzfristigen Einschleppungen mit Alcea rosea-Samen ausgegangen (Lohse 1981). Eine weitere Nordausbreitung dieser bei uns nur in Süddeutschland vorkommenden Art konnte bisher aber nicht festgestellt werden.

Von einer weiteren an Alcea rosea lebenden Art, Alocentron curvirostre, die im südöstlichen Mitteleuropa, dem Balkan und Vorderasien vorkommt, sind bisher keine Ansiedlungen in Mitteleuropa bekannt geworden. Diese Art lebt im Gegensatz zu Rh. longirostre im Stängel und könnte daher nur mit größeren Pflanzenteilen verschleppt werden.

Strukturreiche Kleingärten bzw. Bauerngärten mit einer großen Pflanzenartenvielfalt und mäßiger Pflege und Gärten, in denen Pflanzen mit samenbildenden Blüten verwendet werden, können wichtige Trittsteine und Lebensstätten für eine arten- und individuenreiche Insektenfauna sein (z.B. Hagen 1990: 112ff.). Letzteres gilt auch für Rhopalapion longirostre, zumal gefüllte Stockrosen in der Regel keine Samenanlagen ausbilden.

Auch aus einigen Nachbarländern gibt es Neumeldungen von Rhopalapion longirostre aus den letzten Jahren: Frankreich (Perrin 1984) und Niederlande (Kuijper-Nannenga 1995). Aus Belgien gibt es anscheinend keine aktuellen Rüsselkäferdaten!

Ausblick

Wegen der guten Erkennbarkeit und leichten Nachweismöglichkeit wird vorgeschlagen, das aktuelle Ausbreitungsgeschehen bei Rhopalapion longirostre in Deutschland und angrenzenden Gebieten genauer zu dokumentieren. Die Kolleginnen und Kollegen werden gebeten, in diesem Jahr (2002) die ihnen bekannten Stockrosen-Vorkommen auf die Präsenz oder das Fehlen von Rhopalapion longirostre zu überprüfen und in den folgenden Jahren eine Überprüfung vorzunehmen. Bei Vorhandensein der Weibchen kann dies über eine optische Erfassung der Bestände erfolgen. Daten könnten an die Autoren übermittelt werden. Bitte teilen Sie uns auch mit, wenn Sie die Funde selbst publizieren wollen oder schon publiziert haben.

Danksagung

Die vorliegende Arbeit wäre nicht ohne die umfangreiche Hilfe zahlreicher Kollegen möglich gewesen. Bedanken möchten wir uns besonders bei den Mitgliedern des CURCULIO-Instituts: Friedhelm Bahr, Christoph Bayer, Peter Stüben und Theodoor Heijerman, die mit uns die Thematik der Ausbreitung bei einem Arbeitstreffen diskutierten.

Unser Dank gilt auch Till Tolasch, über dessen Mailingliste (coleoptera@entomologie.de) eine am 29.6.2001 durchgeführte Rundfrage im Internet zahlreiche aktuelle Hinweise erbrachte. Unser besonderer Dank geht an die Kollegen Axel Bellmann, Carlo Braunert, Dietmar Eisinger, Andreas Herrmann, Günter Hofmann, Wilhelm Höhner, Frank Köhler, Jörn Lehmhus, Arved Lompe, Christian Maus, Christoph Neumann, Eivind Palm, Ludger Schmidt und Dré Teunissen.

Literatur

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Adressen der Autoren:

Lutz Behne

Deutsches Entomologisches Institut im ZALF e.V.

Schicklerstr. 5

D-16225 Eberswalde

eMail: behne@zalf.de

Dr. Peter Sprick

Weckenstr. 15

D-30451 Hannover

eMail: psprickcol@t-online.de

Herbert Winkelmann

Attendorner Weg 39A

D-13507 Berlin

eMail: Winkelmann.Coleopt.Curcul@t-online.de